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Einsichten

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Ein von den Bewohnern verlassenes, zum Abbruch vorgesehenes Hochhaus in Dortmund reizte den Fotografen Sebastian Hopp (* 1989) zur näheren Beschäftigung. Es geht in diesem Fall nicht um Architekturkritik, sondern um das künstlerische Dokumentieren der Spuren, die die letzten Mieter in den Wohnungen hinterließen. Diese hatten offenbar nicht alles mitgenommen, sondern überflüssigen Hausrat an Ort und Stelle gelassen; der verwohnte Zustand der Behausungen erlaubte Einblicke in den jahrelangen Nutzungsprozess. Hopp filterte seine Eindrücke und destillierte daraus eine nüchtere, lakonische Fotoserie, die im Buch entsprechend unterkühlt präsentiert wird. Das fängt schon mit dem Einband an, einer dicken Graupappe, in die eine Umrisszeichnung eines Hochhausrasters so eingefräst wurde, dass sie nicht nur sicht-, sonder auch fühlbar wurde. Wohnungsnummer und Stockwerk dienten als Bildtitel, am Ende fungiert ein schematischer Plan als Register. Nicht, dass man unbedingt ganz genau wissen müsste, ob ein Motiv in der Wohnung 88 im 15. Stock gefunden wurde oder in Wohnung 78 im 13. Stock. Nein, es geht darum, die strenge Sachlichkeit des Plattenbaus mit seinem unerbittlichen Betonraster auch für die Buchgestaltung nutzbar zu machen und auf diese Weise etwas von der Atmosphäre des 1968 errichteten und 2021 abgerissenen Hauses zu bewahren.

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Die Bilder der Wohnungseinrichtungen und, im zweiten Kapitel, die unerbittlichen, auf grauem Grund abgelichtete Stillleben von dort gefundenen Gegenständen künden von den Träumen der einstigen Bewohner, von Versuchen, im Hochhausraster Individualität zu leben und vom verblassten Charme vergangener Moden. Im Gegensatz zu den Fototrophäen von „Lost Places“, die vom Reiz des Verbotenen leben und bei denen Ruinenstimmung Trumpf ist, gelingt Hopp mit seinem Buch erstens eine Arbeit, bei der Form und Inhalt perfekt zueinander passen und zweitens eine Serie, die Einsichten in den sozialen Wohnungsbau der Nachkriegszeit vermittelt, ohne dazu in sozialdokumentarische Klischees zu verfallen. Dass die Serie auch als Referenzobjekt für den freiberuflich tätigen Architekturfotografen dienen kann und dass neben inhaltlicher Relevanz Bilder entstanden, die im auch Museumsformat eine gute Figur machen könnten, dürften willkommene Nebeneffekte dieses gelungenen Fotobuchs sein.

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